Ausbeutung im Libanon: „Herzog & de Meuron werden zugeben müssen, dass die Verlobung ein Fehler war“

Der Libanese Joey Ayoub kämpft seit zehn Jahren gegen das Kafala-System, mit dem Hausangestellte in seinem Land ausgebeutet werden. Es verlangt, dass sich die Basler Stararchitekten an der Diskussion ihres Baus in Beirut beteiligen. 1/8 Der von den Basler Stararchitekten Herzog & de Meuron entworfene Wolkenkratzer steht in der libanesischen Hauptstadt Beirut. beirutterraces.com Im Libanon arbeiten Hausangestellte unter prekären Bedingungen. Sie leben bei Familien in sogenannten Diensträumen. Diese sind ein wesentlicher Bestandteil von Luxuswohnungen. Auch in einem von der Kritik gefeierten Werk der Basler Architekten Herzog & de Meuron. AFP So großzügig die luxuriösen Appartements sind, so spartanisch sind auch die Dienstbotenunterkünfte. Darauf machte ein Schweizer Architekt auf Twitter aufmerksam. Man müsse nicht alles bauen und jeden Auftrag annehmen, kritisiert er. Ihr Tweet wurde vielfach geteilt und begeistert kommentiert. Twitter

Die Basler Stararchitekten Herzog de Meuron sind wegen des Baus eines Luxuswohnblocks in Beirut in die Kritik geraten. Sie würden so am ausbeuterischen Kafala-System teilnehmen und schließlich Geld verdienen. Der libanesische Aktivist Joey Ayoub möchte Basler Architekten ins Gespräch bringen.

Herr Ayoub, unsere Berichterstattung über die winzigen fensterlosen Serviceräume im Herzog-de-Meuron-Gebäude in Beirut hat in der Schweiz enormes Interesse geweckt. Überrascht Sie das? Ja, ich war angenehm überrascht, dass es hier so viele Reaktionen gab. Wir haben die Medienberichte in der Schweiz verfolgt. Serviceräume sind ein starkes Symbol des Kafala-Systems. In der Vergangenheit war dies hauptsächlich ein internes libanesisches Problem, aber Medienberichte haben die Situation geändert. Die Situation im Libanon ist von NGOs und den Medien gut dokumentiert. Daher ist es naiv, dorthin zu gehen und so zu tun, als wüssten wir nichts darüber. Am Ende des Tages war Herzog de Meuron beteiligt, jetzt steht das Gebäude und die Mägde darin werden ausgebeutet. Sie kennen die Situation vor Ort. Wer lebt in Beirut Terraces? Dies sind meist wohlhabende Libanesen. Dienstmädchenzimmer sehen sie nicht als soziales Problem. Niemand beschämt sie dafür. Niemand stellt Fragen, das ist ganz normal. Herzog de Meuron hat sich bisher kaum zu der Kritik geäußert. Was genau erwarten Sie von Architekten? Zunächst eine klare Aussage, dass dieser Commit ein Fehler war und Sie diesen Befehl heute nicht mehr ausführen würden. Das wäre wichtig. Es ist ein großes moralisches Problem, in das die Architekten selbst geraten sind. Sie haben mitgemacht und Geld damit verdient. Sie müssen sich jetzt der Debatte stellen. Das sind keine ästhetischen Fragen, sondern soziale Aspekte. „Sie haben damit Geld verdient. Man muss sich der Debatte stellen“ Joey Ayoub, Aktivist Auch die NGO Domestic Workers Advocacy Network (DOWANunite), deren Vorstandsmitglied Sie sind, hat die Corporate-Responsibility-Initiative in ihrem Rückblick auf Herzog de Meuron thematisiert, der im November 2020 an der Mehrheit der Stände knapp gescheitert ist. Schweizer Unternehmen können nicht mehr für Menschenrechtsverletzungen im Ausland verantwortlich gemacht werden. Wir wollten etwas klarstellen: Ein Schweizer Unternehmen muss sich an die in der Schweiz geltenden gesetzlichen Rahmenbedingungen halten. Wenn er im Ausland plötzlich nach anderen Regeln spielt, die gar nicht den Schweizer Standards entsprechen, ist das einfach problematisch. Sie sind im Libanon aufgewachsen, wie hat sich das zivilgesellschaftliche Engagement gegen das Kafala-System in den letzten zehn Jahren verändert? Es ist heute ein großes Medienthema, viel mehr als noch vor zehn Jahren. Damals gab es nur sehr wenige Aktivisten. Seitdem ist es gewachsen und erhält daher immer mehr Aufmerksamkeit in den Medien. Welchen Einfluss hat die Geschichte von Herzog de Meuron auf die Debatte im Libanon? Vielleicht ist es noch zu früh, um eine klare Aussage treffen zu können. Aber es ist wahr, junge Architekten sprechen von einer solchen Geschichte. Aber im Moment haben wir so viele Krisen im Libanon, dass es schwierig ist, das Thema auf der Tagesordnung zu halten. Was denkst du, kann das Kafala-System in zehn Jahren Geschichte sein? Das ist die Sache, es ist ein System, kein Gesetz. Es wurden Anstrengungen unternommen, Hausangestellte gewerkschaftlich zu organisieren, aber dies wurde von der Regierung nicht anerkannt. Wir hoffen, mit internationaler Aufmerksamkeit mehr zu erreichen. Unsere Regierung ist stark auf internationale Unterstützung angewiesen, hier könnte mehr Druck ausgeübt werden. Frankreich ist traditionell ein wichtiger Partner des Libanon. Emmanuel Macron könnte seine Hilfe vom Kafala-System abhängig machen. “Meine Generation wächst in einem anderen Kontext auf als unsere Eltern, das stimmt mich zuversichtlich” Joey Ayoub, Aktivist Meine Generation von Millennials und Gen Z wächst in ganz anderen Kontexten auf als unsere Eltern. Wir reagieren viel empfindlicher auf soziale Unruhen. Mit den Aufständen von 2015 und 2019 gibt es viel mehr Aktivismus für diese Anliegen. Das alles macht mich zuversichtlich. Und für Sie war die Anwesenheit von Hausangestellten normal, als Sie aufwuchsen. Wann und warum sind Sie Aktivistin geworden? Ich engagiere mich seit 2010 gegen das Kafala-System. Nachdem ich ein Mädchen getroffen hatte, das mir von ihrem Leben erzählte, öffnete es mir die Augen. Ich bin selbst mit diesem System aufgewachsen. Wir hatten auch ein Dienstmädchen, ebenso wie meine Freunde. Also fühle ich eine gewisse Verantwortung, die ich ihnen schulde. Heute helfe ich DOWANunite in beratender Funktion im Vorstand und ehrenamtlich.

Aktivist, Journalist und Forscher

Privatgelände Joey Ayoub wurde in Frankreich geboren und wuchs hauptsächlich im Libanon auf. Er lebte mehrere Jahre in Beirut, bevor er nach Schottland und England ging, um Kulturwissenschaften zu studieren. Der 31-Jährige lebt seit 2020 in Genf und promoviert an der Universität Zürich. In Beirut erwarb er zuvor einen Bachelor-Abschluss in Umweltwissenschaften an der American University, wo er mit Menschen unterschiedlicher Herkunft in Kontakt kam und sich für soziale Zwecke engagierte. Als Blogger schrieb er gegen das Kafala-System und war damals Mitorganisator der größten libanesischen Protestbewegung der Neuzeit („You Stink“). Er hat in verschiedenen arabischen und internationalen Medien veröffentlicht, moderiert einen Podcast und ist Vorstandsmitglied des Domestic Workers Advocacy Network (DOWANunite) für die Rechte von Hausangestellten und gegen das Kafala-System.