Stand: 23.09.2022 15:39 Uhr
Auf der Balkanroute steigt die Zahl der Migranten, die versuchen, in die EU zu gelangen. Menschenhandelsorganisationen werden immer aggressiver – und das führt mitunter zu tödlichen Unfällen. Von Anna Tillack, ARD-Studio Wien
Ein Junge mit dichten braunen Haaren, hinten rasiert, steht am Maschendrahtzaun eines großen bulgarischen Flüchtlingslagers. Mahmoud ist 17 Jahre alt und vor einigen Monaten allein in Bulgarien angekommen. Seine Familie ist jetzt da, er will Asyl beantragen und dann nach Deutschland.
Der Weg nach Bulgarien sei gefährlich gewesen, sagt Mahmoud und zeigt auf den Zaun hinter ihm, der ihn an den türkisch-bulgarischen Grenzzaun erinnert. Er sei mit einer Leiter drübergeklettert und dann gesprungen – “wie aus dem 4. Stock. Dann bin ich weitergelaufen.”
An der türkisch-bulgarischen Grenze werde etwas vorbereitet, sagt er, und jetzt hätten sich dort viele Menschen versammelt. Manche fliehen vor dem Krieg in Syrien, andere vor dem harten Leben in der Türkei, erklärt er.
Leichtsinnige Schmuggler machen die Balkanroute für Flüchtlinge immer gefährlicher
Anna Tillack, ARD Wien, Tagesthemen 21:45 Uhr, 23. September 2022
Bulgarien setzt auf strengen Grenzschutz
Bulgarien setzt auf harten Grenzschutz und Abschreckung, die Regierung hat die Zahl der Grenzschützer erhöht und plant bereits eine weitere Aufstockung. Nach Angaben des bulgarischen Innenministeriums hat sich die Zahl der versuchten Grenzübertritte seit dem Vorjahr auf 103.000 verdoppelt.
Der Druck auf die Grenzen steigt – und damit das Stresslevel aller Beteiligten. Alle paar Tage kommt es auf der Balkanroute zu schweren Unfällen. Im Zentrum von Burgas, nahe der türkischen Grenze, war ein Bus mit 47 Migranten in eine tödliche Verfolgungsjagd mit der Polizei verwickelt. Die beiden Fahrzeuge kollidierten, von dem Streifenwagen war nach der Kollision nur noch wenig übrig, und beide Beamten starben. Der Fahrer, ein 18-jähriger Syrer, wurde festgenommen.
Tödliche Verfolgungsjagd endet: In Burgas sichern Polizei und Rettungskräfte den Ort, an dem ein Polizeiauto und ein Abschleppbus kollidierten. Bild: AP
Versuchter Grenzübertritt auch in Serbien
Knapp 600 Kilometer nördlich im serbischen Subotica herrscht reges Treiben und nervöse Anspannung. Hier wartet alles auf den ungarischen Grenzübergang, der ungarische Hochsicherheitszaun ist nur wenige Kilometer entfernt.
Flüchtlinge sind in kleinen Gruppen auf der Straße, steigen aus Taxis, campen auf Feldern oder in verlassenen Gebäuden. Das staatliche Importsystem ist längst völlig überfordert.
Ruinierter Campingplatz: Das Ziel dieser Migranten im serbischen Subotica ist Ungarn. Bild: ARD Wien
Präzise und gefährliche Flucht
In einer der Ruinen lebt ein junger Mann aus dem Jemen. Er sei die Route durch Ägypten nach Griechenland gegangen, sagt er. Anschließend bezahlte er einen Schmuggler für 3.000 Euro, um nach Serbien zu gelangen. Alleine könne man die Grenze nicht überqueren, sagt er. Sie sitzen in einem Jeep, voller Menschen, mit ihm waren es insgesamt 15. Natürlich gibt es Unfälle.
Ein solches Unglück ereignete sich Mitte September im Burgenland an der österreichisch-ungarischen Grenze. Die Armee wollte ein Fahrzeug anhalten, um es zu kontrollieren. Der Fahrer gab Gas, kam von der Fahrbahn ab und prallte gegen einen Baum. In dem für sieben Personen zugelassenen Auto saßen neben dem rumänischen Fahrer 16 Passagiere aus Indien, Pakistan und Afghanistan.
Helmut Marban von der Polizei Burgenland sieht einen neuen, besorgniserregenden Trend: Derzeit seien viele junge Männer auf der Straße, die von den Organisationen angeworben worden seien, „die sehr aggressiv und rücksichtslos auf ihrem Weg sind und auch das Leben derer nicht respektieren, die es sind sie kriechen – und junge Menschen riskieren oft ihr Leben.’
Grenzumrüstung: Dieser Zaun in Ungarn soll Migranten daran hindern, aus Serbien in das Land einzureisen. Bild: ARD Wien
Abschreckung und Angst
In diesem Jahr nahm die burgenländische Polizei 205 Schmuggler fest, 36 mehr als im Vorjahr. Auch die Zahl der Asylanträge ist gestiegen.
Die österreichische Migrationsexpertin Judith Kohlenberger sieht die Gründe für den Anstieg der Zahlen einerseits in der geopolitischen Lage und andererseits in Begleiterscheinungen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine.
Die gestiegenen Flüchtlingszahlen hinterließen jedoch auch bei Schmugglern Spuren: Sie bemerkten, wie sich die Rhetorik der Einwanderung veränderte. Grenzabschreckung führt laut Kohlenberger auch zu Grenzstress. Diese und weitere Berichte sehen Sie auch in den Tagesthemen – um 21.45 Uhr. in der ersten.
Balkanroute: Wieder mehr Flüchtlinge, aggressivere Schlepperbanden
Wolfgang Vichtl, ARD Wien, 23.09.2022 16:34 Uhr