Stand: 03.11.2022 20:18 Uhr
„Verberge deine Kraft und warte, bis deine Zeit kommt“, lautet seit langem das Schlagwort für Chinas Auftritt in der Welt. Unter Xis Führung haben sich die Zeiten geändert: Diplomaten und Politiker melden sich zunehmend zu Wort. Von Tamara Anthony, ARD-Studio Peking
Die Filmszene sollte unter die Haut gehen. Ein fiktives Land in Afrika liegt in Trümmern. die leute geraten in panik. Doch dann kommt die Erlösung: Ein Soldat der chinesischen Volksbefreiungsarmee hisst seine Nationalflagge, die Musik wird emotional, die Gegner lassen ihre Waffen fallen, alle jubeln. Chinas Militär als Befreier, als Retter. Der Slogan des Films „Wolf Warriors 2“ lautete: „Auch tausend Meilen entfernt – wer China angreift, zahlt.“ Der Film von 2017 brach in China Rekorde – und sein Titel gab dem neuen Stil chinesischer Diplomaten einen Namen: Kriegerwölfe. NDR-Logo Tamara Anthony ARD-Studio Peking @TAMANTH Die sogenannten Wolfskrieger treten in Interviews und sozialen Netzwerken aggressiv auf, verteidigen chinesische Ansichten mit nationalistischen Tönen oder bedrohen sogar ihr Gastland. Zum Beispiel der chinesische Botschafter in Schweden, Gui Congyou. Er sagte dem schwedischen Fernsehen: „Wir behandeln unsere Freunde mit gutem Wein, aber wir haben Kugeln für unsere Feinde“, als er gefragt wurde, ob der schwedische Autor und Verleger Gui Minhai, der wegen fragwürdiger Spionagevorwürfe in China festgehalten wird, in Schweden sei. wurde mit dem Tucholsky-Preis ausgezeichnet.
Die Liste der „Wolfskrieger“-Diplomaten ist lang. Vertreter des chinesischen Außenministeriums fallen auf: Der frühere Sprecher Zhao Lijian veröffentlichte auf seinem Twitter-Account ein digital manipuliertes Bild eines Kindes, dem von einem australischen Soldaten die Kehle durchgeschnitten wurde. Die derzeitige Sprecherin des Außenministeriums, Mao Ning, hat wiederholt gegen die USA gewettert.
Filmplakate für den chinesischen Film „Wolf Warriors 2“ aus dem Jahr 2017. Bild: image alliance / Yi Chang/HPIC
Chinas „Machiavelli-Moment“
Die neue Strategie ist weitgehend dem neuen Führer Xi Jinping zu verdanken. “Als Xi sein Amt antrat, verdoppelte er das Budget für das Außenministerium und forderte Diplomaten auf, anders zu handeln”, erklärt May-Britt Stumbaum, China-Expertin an der Universität der Bundeswehr in München. In den Jahren vor Xis Amtsantritt war Chinas Wirtschaftsmacht enorm gewachsen. Gleichzeitig sei der Westen durch die Finanzkrise 2008/2009 und die Eurokrise 2012 ins Stolpern geraten. „2018 folgte der sogenannte Machiavelli-Moment in China, als entschieden wurde: ‚Es ist besser zu gefürchtet als geliebt werden“, sagt May-Britt Stumbaum.
Das chinesische Außenministerium hat die Leistungsbewertung von Diplomaten geändert und „Öffentlichkeitsarbeit“ hinzugefügt, schreibt Dylan MH Loh von der Nanyang-Universität in Singapur. Durchsetzungsfähige Diplomatie, die früher hinter den Kulissen betrieben wurde, ist jetzt für die Öffentlichkeit deutlich sichtbar. Diese Motivation sei einer der Hauptgründe für die jüngste Flut von Auftritten und Aktivitäten chinesischer Diplomaten auf Twitter, schreibt Loh.
Das Ende der Beschränkung
Das veränderte Äußere spreche auch das nationale Publikum in China an, erklärt Professor Wang Yiwei von der renommierten Renmin-Universität in Peking. „Das Weltbild der Chinesen hat sich geändert. Die neuen Generationen, die während der Öffnungsreformen aufgewachsen sind, sind selbstbewusster. Daher gefällt ihnen die Idee, dass der Sprecher des Außenministeriums und die Diplomaten aktiver sind.“ Allerdings bezeichnet Wang Yiwei den Begriff „Kriegerwolf“ als diskriminierend: „Menschen sollten nicht als Tiere bezeichnet werden. Außerdem hat der Wolf in der chinesischen Kultur keine positive Konnotation.“
Chinesische Diplomaten seien aktiver, sie seien intelligent und mutig, aber das bedeute nicht “aggressiv”, sagt Wang. „Früher haben wir uns zurückgehalten, waren sehr tolerant und haben nicht reagiert, wenn über China schlecht geredet wurde. Jetzt wurden wir zum Beispiel des Völkermords in Xinjiang beschuldigt, und wir korrigieren ihn, verteidigen uns und erklären der Welt unsere Position.”
Vor fast zwei Jahren schrieb die kommunistische Parteizeitung Global Times, das Ausland sei an Chinas hartem Ton in der Diplomatie schuld. Westliche Länder haben in einigen Fragen eine harte diplomatische Haltung gegenüber China eingenommen, insbesondere “die sogenannten Menschenrechtsfragen in Xinjiang”, sagte die Parteizeitung. Der Artikel fragt weiter: „Wie kann China angesichts absichtlicher westlicher Provokationen, haltloser Anschuldigungen gegen China und ständiger Übertreibung, dass Chinas Aufstieg eine Bedrohung für die Welt darstellt, nicht zu einem Wolfskrieger werden?“ Die Zeitung Global Times ist für ihre aggressive Haltung bekannt. Dementsprechend endet der Artikel mit dem unverzeihlichen Satz: “Natürlich wird China keine Kompromisse eingehen und wie ein wahrer Krieger zurückschlagen.”
„Tian Tian“, „Himmelchen“ und „Bao Bao“, „Schätzchen“ hießen die ersten beiden Pandas, die China in den 1980er Jahren nach Berlin schickte.Bild: image alliance / Giehr/dpa
“Die Zeit, als China geliebt werden wollte”
Xi Jinping wirbt für Chinas Aufstieg zur Weltmacht. Lange Zeit sträubte sich Chinas Regierung mit solchen Äußerungen. „Bändigen Sie Ihre Kraft und warten Sie, bis Ihre Zeit gekommen ist“, war die Philosophie des langjährigen Führers Deng Xiaoping. Mit ihrer Reform- und Öffnungspolitik in den 1980er und 1990er Jahren brachte sie China nach der Kulturrevolution zurück auf die Weltbühne. Aber Deng versuchte, China ein zurückhaltendes Image zu geben. „Über ‚Chinas Aufstieg‘ sollten keine offiziellen Papiere geschrieben werden. Das galt als zu aggressiv. Stattdessen hieß es ‚Chinas Entwicklung‘“, erklärt Experte Stumbaum.
In dieser Zeit wurde die sogenannte Panda-Diplomatie gefördert: China lieh Staaten Tieren für ihre Zoos als Zeichen der Freundschaft. Tiantian („Himmel“) und Baobao („Schatz“) hießen die ersten Pandas, die China 1980 nach Deutschland schickte – zwei Spitznamen für Kinder. “Das war die Zeit, in der China geliebt werden wollte”, sagt Stumbaum. Aber schon damals war klar, dass China seine Position als…