Brasiliens neu gewählter Präsident Luiz Inácio Lula da Silva steht nach seinem politischen Comeback und einer großen Siegesfeier vor großen Herausforderungen. Dazu gehört nicht zuletzt die Sorge um das Schweigen des aktuellen Tabellenführers Jair Bolsonaro, der bis Montagnachmittag (Ortszeit) eine Niederlage einräumte. Das schürt in Lateinamerikas größter Volkswirtschaft die Befürchtung, ob die Lieferung wie geplant bis zum 1. Januar erfolgen wird. Der Linke Lula hat die Präsidentschaftswahlen am Sonntag in einem dramatisch knappen Rennen gegen den Rechtsextremen Bolsonaro gewonnen. Lula erhielt im zweiten Wahlgang 50,9 % der Stimmen, Bolsonaro 49,1 %. Es ist das knappste Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in der jüngeren Geschichte Brasiliens.
Kein Kommentar von Bolsonaro
Nachdem das Ergebnis der Wiederwahl bekannt gegeben wurde, sagte Bolsonaro in einer Rede oder über einen der vielen Online-Dienste, die er sonst gerne und häufig nutzt, nichts. Wie Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichteten, verließ Bolsonaro am Montagmorgen kommentarlos seinen Dienstsitz und fuhr zum Präsidialamt. Die Fotos zeigten den Präsidenten, wie er mit grimmigem Gesicht einen Korridor entlangging.
Bolsonaro am Montag. APA/AFP/EVARISTO S.A
Nachdem Bolsonaro monatelang Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Wahlsystems geäußert hatte, hat Bolsonaros Schweigen Befürchtungen geschürt, dass er dem Beispiel von US-Präsident Donald Trump folgen könnte, indem er das Wahlergebnis ignoriert – und Brasiliens Demokratie auf eine harte Probe stellt.
„In jedem Land der Welt hätte mich der unterlegene Kandidat angerufen, um seine Niederlage einzugestehen“, sagte Lula jubelnden Anhängern in der Finanzmetropole Sao Paulo. „Ich würde gerne einfach nur glücklich sein, aber ich bin halb glücklich, halb besorgt“, sagte der 77-Jährige.
gesperrte Fernstraßen
Die Übergangsphase begann mit einem Warnzeichen: Lkw-Fahrer und andere Demonstranten blockierten mehrere Hauptverkehrsstraßen im Land. Die Aktionen richteten sich offenbar gegen die offizielle Auszählung der Präsidentschaftswahl. Im Agrarstaat Mato Grosso, in dem Bolsonaro starke Unterstützung hat, wurden mehrere Straßen durch Lastwagen, andere Fahrzeuge und verbrannte Reifen blockiert.
Trotz Pattsituation und knappem Handicap reagierten die Märkte positiv auf Lulas Sieg. Der brasilianische Ibovespa stieg um zwei Prozent, bevor er am frühen Nachmittag um 1,7 Prozentpunkte fiel. Der Brasilianische Real legte gegenüber dem Dollar um 2,2 Prozent zu.
Das Beratungsunternehmen Eurasia Group hat die drohende Machtübernahme Bolsonaros heruntergespielt. Das „Risiko kurzfristiger Proteste bleibt zwar hoch“, das Risiko einer „ernsten institutionellen Krise“ sei jedoch gering.
“Dieses Land braucht Frieden und Einheit”
Luiz Inácio Lula da Silva
Einige von Bolsonaros engen Vertrauten haben Lulas Wahlsieg bereits anerkannt, darunter der einflussreiche Sprecher des Repräsentantenhauses, Arthur Lira. Zudem gratulierten viele Staats- und Regierungschefs Lula, darunter US-Präsident Joe Biden, Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Russlands Präsident Wladimir Putin.
Lula ist der erste brasilianische Politiker, der die Präsidentschaftswahl dreimal gewonnen hat – während Bolsonaro, 67, das erste Staatsoberhaupt ist, das bei seiner Wiederwahl scheitert. „Dieses Land braucht Frieden und Einheit“, sagte Lula. Niemand möchte in einem Land leben, das sich „in einem permanenten Kriegszustand“ befindet.
(Joshua Howat Berger/AFP)