Kinder im Bundeshaus? Bis auf Bundesrat Alain Berset (Foto) und Ueli Maurer sind alle Bundesräte kinderlos. Camilla Alabor und Danny Schlumpf Für Tamara Funiciello (32) ist das Thema klar. «Neue Mütter werden im Bundesrat gebraucht!» sagt die Berner Nationalrätin und SP-Frauenpräsidentin. “Das ist der einzige Weg nach vorn mit Gleichberechtigung.” Damit befeuert Funiciello die Debatte um die Nachfolge von Simonetta Sommaruga (62). Bisher waren alle Bundesräte entweder kinderlos – oder ihre Kinder waren Erwachsene oder Jugendliche. Die fehlende Vertretung im Bundesrat sei schlecht für Frauen, sagt Funiciello: «Kein Wunder, dass junge Mütter in der Schweiz immer noch benachteiligt sind – bei der Arbeit, bei der Aufteilung des Haushalts, bei der Kinderbetreuung.» Bisher standen diese Themen nicht ganz oben auf der Prioritätenliste des Bundesrates. “Junge Mütter wären eine Bereicherung für die Landesregierung, weil ihre Realität eine andere ist.”
Es gibt viele geeignete Kandidaten
Unterstützung erhält er von SP-Nationalrätin Samira Marti (28). «Es wäre gut für die Schweiz, wenn es Mütter mit kleinen Kindern im Bundesrat gäbe», sagt die Basler Bewerberin. “Man sieht im Ausland, dass es möglich ist, als frischgebackene Mutter Ministerpräsidentin zu werden.” Bei Eva Herzog (60) ist das nicht der Fall. Der Ständerat und langjährige Berater der Basler Regierung gilt als realistischer Politiker – und als Favorit auf die Nachfolge Sommarugas. Aber sie ist definitiv keine junge Mutter: Ihre beiden Töchter sind bereits erwachsen. Unter den anderen Kandidaten gibt es dagegen eine beeindruckende Zahl junger Mütter. Allen voran Berner Nationalrätin Flavia Wasserfallen (43). Ihre Kinder sind sechs, zehn und vierzehn Jahre alt. Wasserfallen nimmt sie regelmäßig mit auf den Fußballplatz, aber manchmal nimmt er sie mit zu einer Klimademonstration. Bis zu ihrem Amtsantritt als Nationalrätin teilten sich Wasserfallen und ihre Lebensgefährtin die Kinderbetreuung. „Jetzt übernimmt er definitiv mehr Aufgaben“, sagte er vor drei Jahren. “Kompatibilität ist für viele Familien ein Dauerthema.” Wasserfallen wird frühestens nächste Woche entscheiden, ob sie als Bundesberaterin in die Debatte eingreifen will.
Der Bundesrat ist mehr als ein Vollzeitjob
Eine weitere Kandidatin ist Pascale Bruderer (45), ehemalige Aargauer Regierungsrätin und Mutter von zwei schulpflichtigen Töchtern. Amélie (8) möchte Automechanikerin werden. Ihre Mutter freut sich über diesen Bruch mit den Standards. Nach ihrem Rücktritt aus dem Ständerat wurde Bruderer Unternehmerin – und sie sagte: «Bundesräte leben fast ausschliesslich für die Politik, so ein Leben kann ich mir nicht vorstellen.» Vielleicht sieht es jetzt anders aus. Am Dienstag wird Bruderer bekannt geben, ob sie antreten will. Auch die Berner Regierungsrätin Evi Allemann (44) ist eine Option für das SP-Ticket. Ihr Name wird seltener genannt, was der stillen Arbeiterin entgegenkommt. Die Mutter zweier schulpflichtiger Kinder leitet seit 2018 das Justizministerium in Bern. In ihrem Büro an der Münstergasse hängt eine Zeichnung ihrer Tochter. “Familienbande sind mir wichtig”, sagte Alleman vor einigen Jahren vor Publikum. “Ich versuche sehr oft, abends zu Hause zu sein.” Während das als Bundesberater schwierig sein wird, schließt Alleman einen Lauf nicht aus. Fest steht: Der Bundesrat ist mehr als ein Vollzeitjob. Die Arbeitstage sind hektisch und enden oft um 19 Uhr. Bundesrätinnen und Bundesräte sind oft abends und am Wochenende unterwegs. Genau deshalb hat Ständeratsmittler Pirmin Bischof (63) vor sechs Jahren entschieden, nicht mehr zu kandidieren. Seine Partei suchte damals einen Nachfolger für Bundesrätin Doris Leuthard (59). Bischof wollte von Innenminister Alain Berset (50) wissen, wie er Familie und Beruf vereinbaren könne. Die Antwort schreckte ihn offensichtlich ab. Bischof schloss, «dass ein Amt als Bundesrat für mich und meine Familie nicht in Frage kommt. Das Opfer wäre zu groß.” Stattdessen wurde er in diesem Sommer zum dritten Mal Vater.
“Du siehst deine Familie nicht mehr”
Appenzeller Ständerat Andrea Caroni (42) – Vater von zwei Kindern – sieht das ähnlich. Als Mitarbeiter von Alt-Bundesrat Hans-Rudolf Merz (79) sah er, wie wenig Freizeit die Abgeordneten der Landesregierung hatten. „Mertz sagte, er habe eine halbe Stunde Freizeit pro Woche – am Sonntagmorgen“, erinnert sich Caroni. Es sei ihm daher untersagt, ein solches Amt mit kleinen Kindern zu bekleiden. “Egal ob Mann oder Frau: Sie sehen Ihre Familie nicht mehr.” Ein Mitarbeiter aus dem Umfeld eines Bundesrates widerspricht. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist möglich. Aber: “Man muss extrem gut organisiert sein und klare Grenzen setzen.” Das bedeutet, dass Sie nur eine Veranstaltung pro Woche statt drei besuchen können. „Das kann allerdings schnell als mangelndes Engagement interpretiert werden“, räumt der Insider ein. Doch nicht nur die hohe Arbeitsbelastung bereitet den Eltern Probleme. Bei jungen Müttern kommt hinzu, dass sie als Bundesberaterinnen mit der immer noch vorherrschenden Norm brechen: Der Platz der Frau ist zu Hause bei den Kindern. „Die erste junge Mutter, die Bundesrätin wird, wird extrem unter die Lupe genommen“, sagt die Soziologin Katja Rost (46). Sie ist sich sicher: “Der Vorwurf, sie sei keine gute Mutter, wird schnell kommen.” So ein Richter braucht definitiv ein dickes Fell.
Innenwiderstand
Zumindest das Workload-Problem sei lösbar, sagt SP-Co-Präsident Cédric Wermuth (36). «Wir müssen darüber reden, wie das Büro so gestaltet werden kann, dass ein Privatleben neben der Arbeit möglich ist», sagt Aargauer. Er schlägt vor, die Zahl der Bundesräte auf neun zu erhöhen oder gewisse zu grosse Departemente neu zu verteilen. Neue Mütter an der Macht? Es ist kein Selbstläufer. Der Widerstand kommt aus den Reihen der SP selbst. Ständerat Daniel Jositsch (57), der das Bundesratsamt seit Jahren verfolgt, ist so gekränkt, dass er ein reines Frauenticket offen als «Diskriminierung» bezeichnet. Applaus gibt es dafür von SVP-Präsident Marco Chiesa (48) – Jositschs Kameraden runzeln bei dieser Aussage die Stirn. Sie sehen Diskriminierung an einer ganz anderen Stelle. Zum Beispiel für junge Mütter. Kämpfe um den Sommaruga-Erben