Spätestens seit SARS, MERS und der aktuellen Coronavirus-Pandemie ist klar, dass Coronaviren, die bei Tieren weit verbreitet sind, auch auf den Menschen übergreifen können. Ihre hohe Anpassungsfähigkeit macht tierische Coronaviren zu einem Reservoir für zukünftige Krankheitserreger. In asiatischen Fledermäusen wurden bereits mehrere Coronaviren nachgewiesen, die SARS-CoV-2 sehr ähneln und deren Spike-Protein an ACE2-Rezeptoren auf menschlichen Zellen binden kann. Einige Forscher vermuten sogar, dass es in Südostasien weiterhin nicht nachweisbare Infektionen mit solchen tierischen Coronaviren gibt. SARS-CoV-2-Spike-Protein. Seine Konformation bestimmt, wie gut sich eine Virusvariante an menschliche Zellen anheften kann. ©NIAID

Neue Coronaviren in russischen Fledermäusen

Potenziell infektiöse tierische Coronaviren kommen jedoch nicht nur in Südostasien vor, wie Stephanie Seifert von der University of Washington und ihre Kollegen nun herausgefunden haben. Für ihre Studie untersuchten sie die Eigenschaften und das Verhalten zweier in Russland entdeckter Coronaviren genauer. Diese Viren mit den Namen Khosta-1 und Khosta-2 wurden Ende 2020 in zwei Arten von Hufeisennasen entdeckt. Wie SARS-CoV-2 gehören sie zur Untergattung Sarbecovirus. „Weil diese russischen Coronaviren anders aussahen als SARS-CoV-2, fand sie zunächst niemand besonders spannend“, erklärt Seiferts Kollege Michael Letko. Die Oberflächenproteine ​​der Khosta-Coronaviren unterscheiden sich in bestimmten Zuckerablagerungen und molekularen Schleifen deutlich vom Pandemie-Erreger – weshalb sie nicht als potentielles Risiko für den Menschen galten. Um dies zu testen, erstellte das Team Pseudoviren mit der im Spike-Protein gefundenen Khostavirus-Rezeptor-Bindungsstelle und testete, ob sie zwei menschliche Zelllinien infizieren könnten.

Khosta-2 kann menschliche Zellen infizieren

Das Ergebnis: Khosta-1 erwies sich als unschädlich für menschliche Zellen, Khosta-2 jedoch nicht. „Wir waren wirklich überrascht, dass dieses Virus menschliche Zellen infizieren kann“, sagt Letko. Im Test konnte die Bindungsstelle des russischen Tiervirus an den ACE2-Rezeptor menschlicher Zellen binden und dadurch in diese eindringen. Das Khosta-2-Virus nutzte damit die gleiche Eintrittspforte wie SARS-CoV-2, obwohl die Infektiosität im Vergleich zum Covid-19-Erreger geringer war, berichtet das Team. Genauere Analysen ergaben, dass sich Khosta-2 in mehreren anderen Proteinstrukturen signifikant von SARS-CoV-2 unterscheidet, nicht aber in seiner Bindungsstelle. „Dieser teilt etwa 60 Prozent seiner Konfiguration mit verschiedenen Varianten von SARS-CoV-2“, berichten Seifert und ihre Kollegen. Die kritischen Strukturen des Spike-Proteins sind daher ähnlich genug, um an menschliche Zellen zu binden. „Dies zeigt, dass Sarbecoviren, die in Tieren außerhalb Asiens zirkulieren, auch eine potenzielle Bedrohung für die menschliche Gesundheit darstellen können“, sagt Letko.

Rekombination könnte das Virus pathogen machen

Das Khosta-2-Coronavirus wäre jedoch auch dann noch nicht gefährlich, wenn es Menschen infizieren würde. Denn ihm fehlen mehrere Teile von Genen, die zur Pathogenität von SARS-CoV-2 beitragen. Dadurch würde das menschliche Immunsystem diese Viren schnell erkennen und unschädlich machen, bevor Krankheitssymptome auftreten, erklären die Wissenschaftler. „Leider ist bekannt, dass Coronaviren auch in koinfizierten Wirten rekombinieren können“, erklären Seifert und ihr Team. Das bedeutet: Wenn ein Tier oder ein Mensch gleichzeitig von zwei verschiedenen Coronaviren infiziert wird, können diese Erreger untereinander Gene austauschen und so neue Hybridtypen von Viren bilden. Wenn das Khosta-2-Virus nun in einem solchen doppelt infizierten Wirt auf SARS-CoV-2 trifft, könnte ein neues gemischtes krankheitsverursachendes Virus entstehen. Da bereits Übertragungen von SARS-CoV-2 zurück auf Wildtiere nachgewiesen wurden, sei eine solche Rekombination ein sehr realistisches Szenario, betont das Team. „Es gibt auch wilde Tiere und eine ganze Reihe anderer Coronaviren, deren Eigenschaften wir definitiv nicht auf Khosta-2 haben wollen“, sagt Letko. Letztlich ist es also nur eine Frage der Zeit, bis neue humanpathogene Varianten des Coronavirus auftauchen.

Breitbandimpfstoffe sind erforderlich

Umso wichtiger sei es laut Seifert und ihrem Team, breit wirksame Impfstoffe und Therapien zu entwickeln. Diese sollen nicht nur gegen SARS-CoV-2, sondern auch gegen noch zu entdeckende Coronaviren wirken. Denn wie die Forscher in ihren Tests feststellten, können aktuelle Antikörperbehandlungen und Impfstoffe das Khosta-2-Coronavirus nicht neutralisieren. Auch eine vorangegangene Infektion mit Covid-19 schützt nicht vor einer Ansteckung. „Es gibt bereits mehrere Forschungsgruppen, die an einem solchen Impfstoff arbeiten, der eine breite Wirkung gegen Sarbekoviren hat“, sagt Letko. Ein kürzlich vorgestellter Prototyp für einen solchen Breitbandimpfstoff nutzt spezielle Nanopartikel, die auf ihrer Oberfläche Proteinsegmente von acht verschiedenen Coronaviren tragen. Infolgedessen bildet das Immunsystem mehr Antikörper gegen die gemeinsamen Proteinteile des Coronavirus – und kann so Varianten des Virus abwehren, die nicht im Impfstoff enthalten sind. (PLoS Pathogens, 2022; doi:10.1371/journal.ppat.1010828) Quelle: PLOS, Washington State University 23. September 2022 – Nadja Podbregar