Es wird einsam um den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Drei Tage, 200.000 Soldaten, möglichst wenig Gegenwind und als Belohnung die Eroberung der Separatistengebiete Luhansk und Donezk: So stellte sich Russlands Präsident Wladimir Putin (69) seine „Spezialoperation“ vor – den brutalen Krieg in der Ukraine . Mehr als 200 Tage, zahlreiche Militärschläge gegen einen listigen Feind und die Ankündigung einer Teilmobilisierung von rund 300.000 Reserven später muss Russland zugeben: Der Krieg verläuft nicht nach Plan. Auch in der Öffentlichkeit regt sich langsam aber sicher Widerstand.

Zu spät für einen Putin gegen Putin

Ulrich Schmid (56), Russland-Experte an der Universität St. Gallen, sagt gegenüber Blick, dass der Kreml nach einem “sanften Ausstiegsszenario” für Putin suche. Und nicht nur das: „Es kann passieren, dass Putin bei den Wahlen 2024 nicht mehr konkurrenzfähig ist.“ Und was passiert nach Putin? „Ein mögliches Szenario ist, dass der Kreml dem russischen Volk einen neuen, loyalen Technokraten auf dem Silbertablett serviert. Ihre Aufgabe wird es dann sein, Russland aus dem Sanktionsregime zu führen, aber auch die Privilegien der Mächtigen zu wahren.“ Aber warum bis zur nächsten Wahl warten? Warum Putin nicht direkt entthronen? Schmid erklärt: „Ein Coup gegen Putin hätte zu Beginn des Krieges in der Ukraine stattfinden sollen. Jetzt ist es zu spät.” Denn Putin ist nicht das einzige Problem. Auch andere Kreml-Politiker müssten ihr Gesicht wahren – und würden deshalb die „Sonderaktion“ weiter offiziell unterstützen. Ein allein von der Bevölkerung ausgelöster Regierungssturz ist in Russland kaum möglich. Die Regierung hat zu viel Macht. Laut Schmid ist Putin nun aber zu giftig für Russland geworden. Es scheint, dass die 300.000 mobilisierten Reservisten das Fass zum Überlaufen gebracht haben. Zumindest für einen Großteil der Bevölkerung – denn viele Russen melden sich noch immer freiwillig für den Krieg und unterstützen die „Sonderaktion“. Das müssen zumindest die auf Twitter kursierenden Videos zeigen. Nach Teilmobilmachung: Russische Kriegsfreiwillige (00:59) „Die Ankündigung der Teilmobilmachung hat in Russland – einer Gesellschaft, die seit 20 Jahren entpolitisiert ist – einen gewaltigen Umbruch ausgelöst“, sagte Schmidt. Am Tag der Bekanntgabe der Teilmobilmachung kam es in 38 russischen Städten zu Demonstrationen – gegen den Krieg, gegen den Einsatz von Reservisten und gegen Putin selbst.

Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist groß

38 Demonstrationen und 1300 Verhaftungen – eine eher kleine Zahl im Vergleich zu den Demonstrationen zu Beginn des Krieges. Aber dieser kleine Betrag zeugt von unglaublichem Mut. Protestaktionen und Wehrdienstverweigerung können zu drakonischen Strafen führen – einigen festgenommenen Demonstranten wurden offenbar noch auf der Polizeiwache ihre Anordnungsentwürfe gezeigt. Nach Angaben des unabhängigen Polizeimonitors OVD-Info haben seit dem 24. Februar rund 16.000 Proteste in Russland stattgefunden – 15.000 davon im ersten Kriegsmonat. Tausende Menschen wurden daraufhin festgenommen. Zum Vergleich: Als Oppositionsführer Alexej Nawalny (46) am 2. Februar 2021 festgenommen wurde, gab es nur Proteste in mehr als 100 russischen Städten. Laut OVD-Info nahmen die Behörden 1.116 Demonstranten in Moskau und 246 in St. Petersburg fest. Antimobilisierungsprotest: Polizei löst Demonstration in Russland auf (00:24)

Regionalpolitiker wenden sich gegen Putin

Diese Proteste sind nicht die ersten Äußerungen der Unzufriedenheit: Mehrere Kommunalpolitiker aus den Stadträten von Moskau und St. Petersburg sollen Putins Amtsenthebung gefordert haben. Der Brief an den obersten Russen fordert: “Wir bitten Sie, Ihr Amt niederzulegen, da Ihre Ansichten und Ihr Führungsmodell hoffnungslos veraltet sind.” Für Putin dürften diese regionalen Vorstöße keine fatalen Folgen haben – dafür sind sie einfach zu irrelevant. Aber sie zeigen, dass die Öffentlichkeit mit dem Mann an der Spitze des politischen Spektrums nicht gerade zufrieden ist. Die russische Pop-Ikone Alla Pugacheva (73) wandte sich kürzlich gegen Putin. „Russland hat sich so vieler schrecklicher Dinge schuldig gemacht und leugnet es einfach. ‹Die Massaker von Bukha – wir waren es nicht. Malaysian Boeing – wir waren es nicht. Mariupol wurde dem Erdboden gleichgemacht – wir waren es nicht. (…) Das waren wir alles nicht.” Aber was machen wir da überhaupt?”, schrieb er auf Instagram.