Stand: 09.06.2022 21:22                 

Die Rede von Bundeskanzler Scholz auf der Konferenz re:publica war gespickt mit digitalpolitischen Buzzwords. Allerdings gibt es auch Kritik: Scholz räumt dem Thema keine wirkliche Priorität ein. Von Kristin Becker, ARD-Hauptstadtstudio

Olaf Solz lacht. Eigentlich würde man erwarten, dass der Bundeskanzler gerade im Herzen der Digitalkonferenz re:publica in Berlin verwundert oder verlegen auf seine Äußerungen aus seinem Alltag reagiert. „Ich habe heute offline einen neuen Pass und Ausweis beantragt – es ging nicht anders.“ Was der Regierungschef so fröhlich sagt, als könnte man über den Stand der Verwaltungsmodernisierung in Deutschland nur schmunzeln. SWR-Logo Kristin Becker ARD-Hauptstadtstudio @kbecker Scholz tritt als erster deutscher Regierungschef in der re:publica auf. Trotz der Dauereinladung war Angela Merkel in den vielen Jahren ihrer Kanzlerschaft kein einziges Mal dabei. Für Scholz ist die Veranstaltung an sich kein Neuland, zuletzt war er 2019 als Finanzminister dort. Und es deutet sicher wenig darauf hin, dass er zu diesem wichtigen Treffen von Digitalszene, Technologie-Community und Netzpolitikern in seinem neuen Umfeld kommt Büro.

Veränderung ist schwierig

Der Bundeskanzler spricht in seiner Rede über die Ukraine, den russischen Offensivkrieg, wie sich das internationale Gefüge verändert hat. Er spricht über die Bekämpfung von Fehlinformationen und Hass im Internet. Warnt vor Cyberangriffen. Kritisiert, dass Technologien als Machtinstrumente eingesetzt werden. Unterstützt digitale Souveränität, verantwortungsvollen Umgang mit Daten und rationelle Nutzung.

Es ist eine Rede voller digitalpolitischer Buzzwords. Scholz verhehlt nicht, dass der digitale Wandel in seinem Land vor allem in Ämtern und Verwaltungen schwierig ist. Aber es scheint nicht seine besondere oder gar persönliche Aufgabe zu sein, das zu ändern. Vielmehr scheint es, als würde er über etwas sprechen, mit dem er verantwortungsgeschichtlich wenig oder gar nichts zu tun hat.

“Keine digitale Wende”

„Meine Erwartungen waren nicht hoch und sind nicht zu kurz gekommen“, sagte Anke Domscheit-Berg zu den Aussagen von Scholz. Der Bundestagsabgeordnete ist Sprecher der Digitalpolitik der Fraktion Die Linke und bedauert die Bundeskanzlerin vor allem mit Blick auf die Anwendung der Verhältnismäßigkeit: „Gerade in seiner Position, wo man nicht wirklich Zeit hat, in Ämter zu gehen, ist es wäre charmant, was er hätte.”

Bundeskanzler Scholz in re:publika: Die Digitalisierung in den deutschen Behörden lässt viel Raum

Justus Kliss, ARD Berlin, Tagesausgaben 22.15 Uhr, 9. Juni 2022

Domscheit-Berg kritisiert, dass Scholz der Digitalisierung aus ihrer Sicht keine wirkliche Priorität einräume. “Für mich war es kein digitaler Wendepunkt.” Deutschland sei digital zweitklassig, wirft Kanzlerin Linda Zervaki vor, die die Diskussion nach der Rede koordiniert. “Deutschland braucht deutliche Fortschritte”, sagte Scholz.

Er hat die Koordination der Digitalpolitik weitgehend abgegeben, die zuletzt im Kanzleramt unter Angela Merkel lag. Unter anderem an jemanden, der den Titel „Digitalminister“ trägt, aber auch für Verkehr zuständig ist: Volker Wissing. „Das müssen wir überwinden“, sagte der FDP-Politiker drei Stunden vor der Kanzlerin an gleicher Stelle. Sie verspricht viel: Ambitionen, Strategien und natürlich den Breitbandausbau für alle bis 2030.

Wissing bezieht Stellung

Markus Beckedahl kennt diese „Durchhalteparolen“, wie er sie nennt. Der Journalist ist einer der Mitbegründer von Re:publica. Für ihn seien die Regierungen von SPD, Grünen und FDP mit vielen guten digitalpolitischen Vorsätzen gestartet – aber bislang nicht aufgegangen. Immerhin ist zu begrüßen, dass die Kanzlerin und die Ministerin für Digital Governance auf der politisch durchaus kritischen Konferenz des Netzwerks Fragen stellen.

Positiv überrascht ist Beckedahl auch, dass Wissing zu zwei heiklen Themen klar Stellung bezieht: der Ablehnung einer grundlosen Gesprächssteuerung, wie sie gerade auf EU-Ebene vorgeschlagen wird, und dem Bekenntnis zur Netzneutralität. Das bedeutet, dass ISPs alle Daten auf die gleiche Weise behandeln müssen, wenn sie übertragen oder gestreamt werden.

die Verantwortlichkeiten sind nicht klar

Allerdings fehlt noch die im Koalitionsvertrag festgeschriebene digitale Ampelstrategie. In der re:publica erklärte Wissing, ein erster Entwurf befinde sich in einer „frühen Abstimmung“ zwischen den Ministerien und er wolle einen Kabinettsbeschluss im Juli, sei aber noch nicht zufrieden: „Da muss mehr Butter in den Fisch. “

Das mag auch damit zusammenhängen, dass der Digitalminister für vieles nicht oder nicht vollständig zuständig ist. Das Innenministerium ist beispielsweise für Cybersicherheit und Verwaltungsdigitalisierung zuständig, während sich das Finanzministerium zum Thema Daten äußern will. Im Moment sind noch nicht alle digitalen Verantwortlichkeiten geklärt, die Lage ist verworren.

Die Journalistin Beckedahl sagt, es gebe keine Anlaufstelle in der Regierung. „Niemand in der ersten Reihe ist wirklich digital und motiviert.“ Schon gar nicht der Kanzler, der auch aufgrund seiner Sozialisation „bisher eher als teilnehmender Beobachter der Digitalisierung“ gelte.

Scholz gibt ein Versprechen