Stand: 06.11.2022 14:00 Uhr                 

Bundespräsident Steinmeier tritt in dem Bericht aus Berlin für eine soziale „Pflichtzeit“ für alle ein und bekräftigt die Unterstützung für die Ukraine. Er weiß, dass gerade letzteres Ängste auslöst, sieht darin aber eine „Orientierungsaufgabe“. Von Moritz Rödle, ARD-Hauptstadtstudio

Nicht alle Gespräche sind angenehm, wenn der Bundespräsident seinen Dienstsitz verlegt. Frank-Walter Steinmeier trifft in Neustrelitz auf eine Frau, die ihm vorwirft, die DDR als “dunkles Deutschland” zu bezeichnen. Der Bundespräsident widerspricht, aber die Debatte findet keinen gemeinsamen Nenner. Am Ende wandte sich der Bundespräsident ab. Das „Wir“-Publikum als Diskussionsgrundlage scheint einfach ausgegangen zu sein. Logo SR Moritz Rödle ARD Hauptstadtstudio In einem weiteren Gespräch mit einem Fischverkäufer auf dem Neustrelitzer Markt zeichnet Steinmeier ein besseres Bild. Die Frau äußert ihre Besorgnis: Der Umweltschutz gehe zu weit, sie könne mit immer weniger Wasser ihren Beruf weiterführen. Steinmeier ist interessiert und fragt nach. Er wird dann in eine Kamera sagen, wenn jeder ein Profil wie der Bundespräsident hätte, dann wäre man einen Schritt voraus, aber das ist man leider nicht.

Solche Gespräche sind der Grund, warum der Bundespräsident seinen Amtssitz immer wieder aus Berlin verlegt. In einem Interview mit der Reporterin Tina Hassel aus Berlin sagte Steinmeier, er wolle mit den Menschen sprechen, weil er wisse, dass viele Gespräche in der Hauptstadt weite Teile des Landes nicht erreichten. Einzige Bedingung ist, dass die unterschiedlichen Positionen respektvoll miteinander ausgetauscht werden.

Steinmeier wirbt für das verbindliche Zeitmodell

Eine dieser Positionen des Bundespräsidenten ist die sogenannte soziale Verpflichtungszeit. Jeder, sagte Steinmeier in einem Interview, sollte einmal im Leben etwas für andere Menschen tun, die ihm fremd sind. Es sollte nicht auf eine bestimmte Altersgruppe beschränkt werden. Sein Ansatz dazu ist als Diskussionsbeitrag zu verstehen.

„Wenn es bessere Ideen als die vorgeschriebene Zeit gibt, bespreche ich sie gerne“, sagt er. Was nicht passieren darf ist, dass das Gespräch nicht wieder beendet wird.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Gespräch mit Tina Hassel, ARD Berlin

Bericht aus Berlin 18:00 Uhr, 6.11.2022

Konflikte respektvoll lösen

Im Interview wird Steinmeier an einer Stelle ein Film gezeigt. Es ist ein Konflikt in der kleinen Gemeinde Steinalben in der Südwestpfalz. Dort soll ein Solarpark entstehen. Dies hätte viele Vorteile für die Gemeinschaft, aber unter anderem auch Nachteile für den Artenschutz.

Solche Konflikte hat er auf seinen Reisen im Land schon öfter erlebt. Aber das ist nicht allein repräsentativ für den Zustand unserer Gesellschaft. Beispielsweise haben die Menschen des Landes etwa eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen. Nach der Katastrophe im Ahrtal waren Tausende Menschen dort, die in ihrer Freizeit beim Wiederaufbau halfen. Ja, es gibt Konflikte, aber wenn sie sie respektvoll miteinander ausfechten, wie in den Steinalben, hat er keine Angst.

Abkehr von der pro-russischen Haltung

Der Bundespräsident ist in den vergangenen Monaten oft kritisiert worden. Fotos von ihm mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow verfolgen ihn immer wieder. Doch Steinmeier ist von seiner bisherigen Russlandpolitik abgerückt.

Vor gut zwei Wochen besuchte er die Ukraine und erlebte hautnah, was es bedeutet, einen Luftschutzkeller auszuhalten. In einer Rede nach der Reise sagte er: „Wenn wir uns das heutige Russland ansehen, dann ist da einfach kein Platz mehr für alte Träume. Heute stehen unsere Länder gegeneinander.“

Steinmeier muss ein „Kommunikationstreiber“ sein.

In den Augen vieler Beobachter trifft es den richtigen Ton. Das müsste Steinmeier aber viel öfter machen, sagt Kommunikator Johannes Hillje im ARD-Studio der Hauptstadt: Kommunikation ist in einer Krise besonders wichtig. Menschen suchen an vielen Orten nach Führung, einschließlich Hoffnung. Und es könnte und sollte so etwas wie ein Kommunikationsleitfaden sein. In einer Zeit, in der sich viele unsicher fühlen.

„Deutschland wird keine Kriegspartei“

57 Prozent der Menschen in Deutschland befürchten, dass die Bundesrepublik in den Ukraine-Krieg hineingezogen wird. Das ist das Ergebnis einer Recherche von Infratest-Dimap für ARD-DeutschlandTrend.

Steinmeier sieht darin eine Orientierungsaufgabe für den Bundespräsidenten. Sie können nicht sagen: „Dieser Krieg geht uns nichts an“. Der Krieg werde gegen alles geführt, wofür Deutschland stehe: “Für Freiheit und Demokratie, für die Achtung des Rechts und für geschriebene Grenzen”. Die Regierung handelt also richtig. Steinmeier betont, Deutschland müsse die Ukraine nach Kräften unterstützen: “Wirtschaftlich, politisch, finanziell und auch militärisch.” Aber Deutschland ist keine Kriegspartei und wird es auch nicht sein. …